Schlieremer Stimmvolk hat die Qual der Wahl

Am kommenden 7. März stehen zwei Projekte zur Gestaltung des südlichen Bahnhofbereichs zur Abstimmung an: Eine fussgängerfreundlichere Begegnungszone mit Tempo 20 und eine autofreundlichere verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30. Der «Schlieremer» stellt die zwei Varianten und ihre Entstehungsgeschichten vor.

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Schlierens haben eine schwierige Entscheidung zu treffen: Am 7. März müssen sie zwischen zwei Varianten zur Gestaltung des südlichen Bahnhofbereichs wählen. Die eine sieht eine Begegnungszone mit Tempo 20 vor, die andere eine verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30. Die Wahl zwischen diesen Projekten ist deshalb schwierig, weil beide gemäss Stadtrat zu einer Verbesserung der heutigen, unbefriedigenden Situation am Bahnhof führen würden und weil beide ähnlich viel kosten.

Beide Varianten gehen auf Volksinitiativen zurück, die im Frühjahr und im Sommer 2018 eingereicht wurden. Das Gemeindeparlament beauftragte daraufhin im April 2019 den Stadtrat, zwei gleichwertige Umsetzungsvorlagen auszuarbeiten und ihm Bericht und Antrag zu unterbreiten. Das geschah Anfang Juli 2020. Der Stadtrat empfahl damals dem Gemeindeparlament die Umsetzung der Begegnungszone mit Tempo 20. Dieses entschied im Oktober 2020 aber anders und bevorzugte mit 17:15 Stimmen die Verwirklichung der verkehrsberuhigten Zone mit Tempo 30. Das letzte Wort haben jetzt die Schlieremer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.

Im Hinblick auf die Abstimmung am 7. März haben sich für beide Projekte Unterstützungskomitees gebildet. Für die Begegnungszone mit Tempo 20 werben Vertreterinnen und Vertreter aus der GLP, den Grünen, dem Quartierverein und der SP sowie Parteilose. Unterstützt werden sie unter anderem von den Präsidenten von Event Schlieren, Faustball Schlieren und Freizeit Schlieren. Für die verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30 treten Mitglieder der bürgerlichen Parteien CVP, FDP und SVP sowie Exponenten des Hauseigentümerverbands Schlieren und der Wirtschaftskammer Schlieren ein.

Begegnungszone mit Tempo 20

Und so sehen die beiden Projekte gemäss Bericht des Stadtrats an das Gemeindeparlament aus: Die Begegnungszone im Bahnhofsbereich verläuft zwischen dem östlichen Eingangstor bei der Grabenstrasse/Engstringerbrücke bis zum Eingangstor bei der Liegenschaft Güterstrasse 15 (Areal Kohler) und umfasst auch die Bahnhofstrasse bis zum Stadtplatz.

In der Begegnungszone beträgt das maximale Tempo für fahrende Verkehrsteilnehmer 20 Kilometer pro Stunde, die Fussgänger haben Vortritt, und das Parkieren ist nur auf den markierten Parkfeldern erlaubt. In der Begegnungszone existieren bewusst keine Randabschlüsse, welche den Fussgängerbereich von der Fahrbahnfläche abgrenzen. Vertikal versetzte Parkplätze, Bäume mit begrünten Baumscheiben sowie die chaussierten Plätze bilden eine leicht mäandrierende Fahrspur. Gleichzeitig ergibt sich mit der Anordnung dieser Elemente Platz für Fussgängerinnen und Fussgänger neben dem Fahrbereich.

So könnte die verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30 im südlichen Bahnhofsbereich aussehen.
Die Begegnungszone mit Tempo 20 am Bahnhof.

Das Herzstück der Begegnungszone ist der grosszügige Bahnhofsplatz mit einem markanten Baum, welcher sich zwischen dem Treppenaufgang der Personenunterführung der SBB und der Bahnhofstrasse befindet. Besonderen Wert wird auf die Aufenthaltsqualität gelegt. Dies wird mit dem grosszügigen Platz an der Bahnhofstrasse vor der Bibliothek mit Brunnen und Bänken erreicht sowie mit Flächen vor den bestehenden Restaurants, welche als Strassencafés genutzt werden können. Die besonders grüne Umsetzung mit vielen Bäumen und grosszügigen Pflanzflächen sorgt im Sommer für ein kühleres Klima. Mit fast 70 neuen Veloabstellplätzen wird zudem auch der Stärkung des Zweiradverkehrs Rechnung getragen.

Verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30

Der Perimeter der verkehrsberuhigten Zone mit Tempo 30 umfasst die gesamte Güterstrasse von der Goldschlägistrasse bis zur Bahnhofstrasse, die Bachstrasse, die Neue Fossertstrasse, die Bahnhofstrasse sowie die Grabenstrasse bis zur Zürcherstrasse.

In der Tempo-30-Zone gilt Rechtsvortritt, die Fussgänger können grundsätzlich überall die Fahrbahn überqueren, haben jedoch keinen Vortritt. Im gesamten Perimeter wird die Tempo-30-Zone mit Gehwegen und Fahrbahn gestaltet. So wird eine möglichst eindeutige Zuweisung respektive Trennung der verschiedenen Verkehrsteilnehmenden sichergestellt. Zur Temporeduktion werden seitliche Einengungen erstellt. Die Strassenflächen in den Kreuzungsbereichen werden auf das Gehwegniveau angehoben sowie farblich mit einem Blauton gestaltet und hervorgehoben. Die Parkplätze werden ebenfalls auf Gehwegniveau angehoben.

Auf die Aufenthaltsqualität wird besonderen Wert gelegt. Das erfolgt auch bei dieser Variante mit einem grosszügig gestalteten Platz mit Brunnen und Sitzgelegenheiten vor der Bibliothek. Vor den bestehenden Restaurants besteht die Möglichkeit, die entstehenden Flächen als Strassencafé zu nutzen.

Die Umsetzung der Begegnungszone mit Tempo 30 mit ihrem kleineren Perimeter würde gemäss Stadtrat Kosten von 1,1 Millionen Franken verursachen. Mittelfristig müssten aber die angrenzenden Strassen zu einer Tempo-30-Zone umgestaltet werden. Das würde nochmals 1,1 Millionen Franken brauchen. Zusammen ergäben sich Kosten von 2,2 Millionen Franken. Genau gleichviel würde die Umsetzung der verkehrsberuhigten Zone mit Tempo 30 mit ihrem grösseren Perimeter kosten.

Was Verfechter der beiden Projekte sagen

«Die Begegnungszone mit Tempo 20 im südlichen Bahnhofsbereich ist ein wichtiger erster Schritt in Richtung eines lebenswerten Zentrums in Schlieren», urteilt Walter Jucker (SP) vom Komitee «Begegnungszone im Bahnhofsbereich». «Die Achse zwischen der Post, dem Bahnhof und dem roten Flügel auf dem Stadtplatz soll zum Verweilen und Flanieren einladen.» Es wäre ein Ort, wo die Anwohner und das Gewerbe profitieren würden und der mit dem Auto und dem Fahrrad weiterhin erreichbar wäre.

Würde die verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30 realisiert, so befürchtet Jucker, dass sie – wie andere Tempo-30-Zonen in der Stadt auch – zum Schleichweg würde. Wer von der Goldschlägi herkommend via Badenerstrasse Richtung Zürich wolle, müsse an drei Lichtsignalen vorbei. «Auf dem Schleichweg via Güterstrasse und Bahnhofstrasse gäbe es dann bis zum Stadtplatz kein Lichtsignal mehr und somit freie Fahrt», sagt Jucker.

Markus Weiersmüller (FDP) vom Komitee für eine verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 30 streicht die Vorzüge dieses Projekts wie folgt hervor: «Wir wollen eine übersichtliche, grosse und vor allem sichere Tempo-30-Zone, und zwar nicht nur in der Güter- und Bahnhofstrasse, sondern auch für die Bach- und Grabenstrasse – mit klar erkennbaren, sicheren Fussgängerübergängen und Trottoirs.»

Als Nachteil der Begegnungszone mit Tempo 20 bezeichnet Weiersmüller «die Kombination von gänzlich fehlenden Trottoirs und keinen Fussgängerstreifen sowie drei sehr engen Fahrbahnstellen zwischen dem Bahnhofsgebäude und der Post. Das würde dazu führen, dass Velos und Roller auf den Seitenbereich der Begegnungszone ausweichen würden – genau dorthin, wo sich Fussgängerinnen und Fussgänger eigentlich sicher fühlen sollten». Zudem würden sich Zweiradfahrer kaum an Tempo 20 halten.

Die Geschichten hinter den Empfehlungen

Dass sich der Stadtrat für die Begegnungszone mit Tempo 20 ausspricht, hat seinen Grund: Das Leitbild der Stadt hält nämlich fest, dass das Zentrum von Schlieren attraktiv wird und zum Verweilen einlädt. Dies soll mit einer Erhöhung der Aufenthaltsqualität und einer Verminderung des Durchgangverkehrs erfolgen. Sowohl das Stadtentwicklungskonzept als auch der kommunale Verkehrsrichtplan messen dabei dem Bahnhofsumfeld eine sehr hohe Bedeutung zu. Der Verkehrsrichtplan weist dieses Gebiet deshalb als Fussgängerzone aus. Im Stadtentwicklungskonzept wird der Bahnhofsbereich als «Visitenkarte» der Stadt bezeichnet.

Auch der Entscheid des Gemeindeparlaments zugunsten einer verkehrsberuhigten Zone mit Tempo 30 hat seine Geschichte: An der Sitzung im Oktober fehlten nämlich drei Exponenten des linken Lagers coronvirusbedingt. Wären sie anwesend gewesen, hätte sich die bürgerliche Seite mit ihrem Projekt nicht mit 17:15 Stimmen durchgesetzt. 

Text: Martin Gollmer; Visualisierungen: zVg

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